Die andere Art Urlaub: Farmarbeit auf einem Bio-Bauernhof in Schweden
Es ist acht Uhr morgens, die Sonne steht noch tief am Himmel, das Gras ist mit Tau bedeckt und nur das brummende Geräusch des Traktors unterbricht die friedliche Stille der soeben erwachten Natur. „Heute sind Möhren und Zwiebeln dran“ teilt uns Per der Hofbesitzer mit, während er seine Arbeitshandschuhe anzieht und ein paar leere Kisten auf die Ladefläche des Traktors lädt. Der Traktor sieht aus, als hätte er schon mehrere Leben hinter sich. Das Holz der Ladefläche macht einen leicht morschen Eindruck und das Metall der Stützplanken ist etwas verrostet. Trotzdem scheint er noch so einiges aushalten zu können, denn nicht nur Kisten, sondern auch die anderen freiwilligen Farmarbeiter werden sich mit diesem Gefährt als Transportmittel anfreunden.
Mälby Trädgard ist eine ökologische Farm im Süden Schwedens und liegt in dem kleinen Örtchen Fjärdhundra, etwa eine Stunde von Stockholm entfernt. Sie ist ein Teil des Netzwerks WWOOF (World Wide Opportunities on Organic Farms), ein weltweites Netzwerk, das von der Idee getragen wird, Menschen zusammenzubringen: Menschen, die einen naturverbundenen Lebensstil auf dem Land führen und die, die ihn aktiv kennenlernen wollen. Das Prinzip ist einfach: Freiwillige helfen auf einem selbst gewählten Bio-Bauernhof oder Selbstversorgerhof, im Gegenzug bekommen sie Kost und Logis. Der Sinn des Ganzen geht jedoch noch tiefer, denn im Idealfall findet auch ein Austausch von Erfahrungen und Wissen zum Thema „Ökologische Landwirtschaft“ statt.
Die Fahrt auf dem Traktor führt über schmale Straßen und an mehreren Feldern vorbei. Das Gras ist gelb und vertrocknet und erinnert daran, dass es schon Ende August ist. Trotz der nördlichen Temperaturen in Schweden scheint es ein warmer Tag zu werden. Neben mir auf dem Traktor der Ladefläche sitzen eine Deutsche, eine Französin und ein Italiener. Eine bunte Mischung also. Das Team wechselt von Zeit zu Zeit. Doch Per scheint dieser stetige Wechsel nicht viel auszumachen. Ganz im Gegenteil: Er liebt es, neue Menschen kennenzulernen und freut sich über den kulturellen Austausch mit seinen Wwoofern.
Seitdem WWOOF 1971 gegründet wurde, nehmen inzwischen mehr als 6.000 Farmen in etwa 100 Ländern teil. Meist sind die Freiwilligen-Teams auf den Höfen bunt gemischt und so findet auch ein interkultureller Austausch statt. Entstanden ist die Idee des Wwoofing durch Sue Coppard, eine Londoner Sekretärin. Als Großstädterin wollte sie zumindest zeitweise am Leben auf dem Land teilhaben und organisierte zunächst Freiwilligen-Wochenenden an einer Landbau-Schule in Sussex. Schließlich folgten auch weitere Wochenenden auf ökologischen Bauernhöfen und die Idee wurde zum Selbstläufer und verbreitete sich auf der ganzen Welt. Heutzutage ist es für viele Menschen eine neue Art des Reisens geworden. Denn man begegnet gleichgesinnten Menschen und kann eine Zeit lang das schnelllebige Stadtleben hinter sich lassen. Man fühlt sich im fremden Land weniger als Tourist, sondern vielmehr als Gast. Man lernt die Menschen und ihre Kultur aus einem anderen Blickwinkel kennen, ungetrübt von der idealisierenden Maske der Tourismusindustrie.
Am Feld angekommen, steigen alle vom Traktor und einer der Wwoofer öffnet das Gatter zum Möhrenfeld. Die dunkelgrünen Plastikkisten, die noch auf der Ladefläche des Traktors stehen, werden nun auf dem Feld verteilt. Die Arbeit wird aufgeteilt. Es gibt mehrere Zweierteams. Der eine lockert mit einem Spaten die Erde rund um die Möhren auf, der andere holt die Möhrenbündel aus der Erde und legt sie in eine der Kisten. Eine einfache Arbeit. Und doch nicht eintönig, da man jedes Mal wieder überrascht ist, was da aus der Erde gezogen wird. Kleine Möhren, Riesenmöhren, verwachsene Möhren, sich umarmende Möhren in vielen Farben: orange, gelb und rot. Wenn genug Möhren geerntet sind, werden die Zwiebeln auf dem Feld nebenan geerntet. Dann geht es zurück zum Hof und die Möhren werden gewaschen und zu Bündeln gebunden. Gegen Mittag wird ausgelost, wer das Mittagessen kocht. Während also die einen weiter bunte Möhrensträuße binden, geht es für ein oder zwei Auserwählte in die Küche.
Um als freiwilliger Wwoofing zu betreiben, muss man sich auf der entsprechenden Seite anmelden. Über die Website von Wwoof International, kann man zu den jeweiligen Ländern gelangen. Für die meisten Länder muss man bei der Anmeldung einen Jahresbeitrag von etwa 25-30 Euro zahlen, damit man Zugriff auf die Datenbank der Biohöfe bekommt. Bei der schwedischen Website wwoof.se sind es 25 Euro, die man für die Jahresmitgliedschaft zahlen muss. Wenn man angemeldet ist, kann man die verschiedenen Höfe kontaktieren. Meist stellt man sich kurz vor und man macht eine Buchungsanfrage für einen gewünschten Zeitraum. Die Länge des Aufenthalts ist frei wählbar, meist suchen die Höfe jedoch Leute für mindestens zwei Wochen, damit sich die Einarbeitung lohnt. Auf der Website ist es möglich, ein Profil zu erstellen, um mit anderen Wwoofern oder potenziellen Hofbesitzern zu kommunizieren.
Es ist seltsam, in der Küche zu stehen und nicht zu wissen, was man kochen soll. Ohne Rezept und ohne erreichbaren Supermarkt. Gekocht wird, was da ist: Es ist ein Vorrat an Möhren, Zwiebeln und roter Beete da. Alles frisch vom Feld. Es gibt zudem einen Vorrat an Reis, Nudeln und Mehl, Linsen sowie Hafersahne und verschiedene Gewürze. Kartoffeln können direkt vor dem Haus geerntet werden. Und neben dem Haus steht ein Apfelbaum. Wie wäre es mit Kartoffelrösti und frischem Apfelmus? Oder Rote-Beete-Apfel-Möhren-Salat? Es wird der Salat und dazu Reis mit Möhren. Nichts Ausgefallenes, aber für den ersten Tag in der Küche akzeptabel. Dazu bereitet Per später noch einen Smoothie aus roter Beete, Möhren, Granatapfelsaft und Petersilie zu.
Zurück zur Ursprünglichkeit und zurück zur Langsamkeit ist auch der Leitspruch von Slow Food, einer internationalen Organisation, die es sich zum Ziel gemacht hat, wieder bewusst zu kochen und zu essen mit Lebensmitteln möglichst aus regionalem, saisonalem und kontrolliert biologischem Anbau. Denn in der Ära der Fast Food-Nation ist der wahre Bezug zu Lebensmitteln immer mehr verloren gegangen. Wer weiß noch heutzutage, wann Möhren, Gurken oder Tomaten wachsen? In den Supermärkten hat scheinbar alles jederzeit Saison. Dass viele Lebensmittel jedoch aus fernen Ländern teuer und umweltbelastend eingeflogen werden müssen, ist vielen nicht bewusst. Auf einem Hof, wo nur das wächst, was Saison hat, findet automatisch ein Umdenken statt. Der Weg zu mehr Einfachheit in der Küche wird geebnet. Minimalistisches Kochen könnte man das auch nennen.
Zwiebelgeruch treibt einem in die Nase, sobald man näher an das Zelt kommt. Auf einem großen Tisch ausgebreitet liegen Berge von Zwiebeln. Rote und Gelbe in allen Größen. Die älteren Wwoofer, schauen etwas niedergeschlagen drein, als sie auf den Berg Zwiebeln blicken. „Schon wieder Zwiebeln!“, sagt die eine und der andere entgegnet „Ich hasse Zwiebeln“. Die neueren Wwoofer, darunter ich, machen sich voller Motivation ans Zwiebeln schälen, wissen aber am Ende des Tages, wovon die beiden anderen sprechen. Denn der Berg wird nur langsam kleiner, während Schicht um Schicht geschält wird, bis eine glänzend glatte Zwiebel zum Vorschein kommt, die mit fünf bis sechs anderen in ein Bündel kommt. Doch dann kommt der Augenblick, wo der Berg immer kleiner wird und schließlich alles geschält und gebündelt ist und ein kollektives Gefühl der Erleichterung stellt sich ein.
Am Wochenende hat man meist genug Zeit und Möglichkeiten, die vielseitige Umgebung zu erkunden. Eine Bushaltestelle ist zu Fuß erreichbar und man kann in die nächstgelegene größere Stadt Enköping fahren. Von dort aus Fahren Züge nach Västerås, Uppsala und Stockholm. Ein Ausflug in die Studentenstadt Uppsala lohnt sich und in Stockholm kann man sogar mehrere Wochenenden verbringen. Denn zum einen gibt es in der schwedischen Hauptstadt einiges zu entdecken und zum anderen sollte man einen Ausflug auf die Schären unternehmen. Die vielen kleinen und größeren vorgelagerten Inseln vor Stockholm sind definitiv einen Besuch wert, denn dort fühlt man sich der schwedischen Lebensart sehr nah. Die Stockholmer selbst verbringen ihre Wochenenden und Ferien oft auf den Inseln, die meist nur in der Sommersaison bewohnt sind.
Nach einer kurzen Erholungspause ein Ausflug in den nahe gelegenen Wald zum Blaubeersammeln. Zu zweit stapfen wir voller Begeisterung durch die Blaubeerbüsche und füllen die mitgebrachten Gläser mit den blauen Beeren. Auf dem Rückweg zum Hof scheint mir die Abendsonne ins Gesicht und ich atme die warme schwedische Luft ein. Wenn wir zurück sind, wird es Abendessen geben. Zum Nachtisch gibt es Schokolade-Rote-Beete-Kuchen, hab ich gehört. Ich spüre, wie die Anspannung des ersten Tages von mir abfällt und wie ich voller Vorfreude auf die kommenden Tage blicke. Genau wie ich es mir vorgestellt habe: Abwechslungsreiche Arbeit an der frischen Luft, interessante Gespräche mit wunderbaren Menschen, köstliches und gesundes veganes bzw. vegetarisches Essen und viele kleine Abenteuer und Entdeckungen – eine Auszeit vom Trubel einer Großstadt wie Köln, die mich vollkommen ins hier und jetzt zurückbringt.
Aus meinem Blog „travelingreen – Der grüne Reiseblog und Reiseführer“ (2017-2021)